Top 10 Songs

Nachdem ich mir vor kurzem Gedanken über meine Lieblingsfilme gemacht und in diesem Forum einer Reihung unterzogen habe, werde ich nun eine ähnliche Liste jener Songs, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt meine Favoriten markieren, in Angriff nehmen.
Am Anfang steht auch hier die Frage, was einen guten Song ausmacht: Wie bereits angedeutet, ist der temporäre Charakter eines Lieblingssongs noch weitaus stärker ausgeprägt, als der eines Lieblingsfilmes, zumal ein Song durchschnittlich etwa vier Minuten dauert, also den Bruchteil der Länge eines Filmes in Anspruch nimmt. Durch die kürzere Dauer eines Liedes, ist das Konsumverhalten, das der Rezipient an den Tag legt ein ganz anderes als beim Betrachten eines Filmes. Ergo ist der Zeitpunkt, an dem man sich an einem Song satt gehört hat wesentlich schneller erreicht.
Dies soll nicht falsch verstanden werden. Der Wirkungsgrad beider Medien ist durchaus zu vergleichen und die Leistung der es bedarf einen herausragenden Song zu schreiben, steht der bei einem großartigen Film mitzuwirken genauso wenig nach, wie sie diese überragt.
Das führt mich aber auch schon zum nächsten Punkt, nämlich dem größten Unterschied dieser Liste zu ihrer Vorgängerin, der gleichzeitig die absolute Negation eines möglichen Vergleiches bedeutet: Es sind ausschließlich Einzelleistungen, die ich mir anmaße einer Wertung zu unterziehen. Klar, dass auch die Qualität eines Filmes mit Einzelleistungen steht und fällt, eben nur durch das Zusammenspiel mehrerer Kräfte kann etwas Großes entstehen.
Die Aspekte, die ich im Zuge dieser Liste hervorkehren möchte, sind jene Qualitäten die einen Song abseits der bloßen Interpretation auszeichnen, wie ein herausragender Text oder eine besondere melodische Wandelbarkeit. Idealerweise vermag ein Stück so in mehreren, höchst unterschiedlichen Interpretationen wieder ganz einzigartig zu klingen, ohne dabei aber die ursprünglich ihm zugrunde liegende Ausdrucksstärke zu verlieren, sondern sie viel mehr noch zu verstärken. Ein wirklich großes Stück Musik thront also immer über der Interpretation, überragt diese und wird gänzlich unabhängig, so dass der bloße Text alleine, vollkommen unmelodisch vorgetragen noch immer in beinahe vollem Umfang Wirkung trägt. Dieses Verständnis impliziert auch, dass die wirklich bedeutenden Werke über eine Gesangslinie verfügen müssen. Trotzdem gibt es natürlich ähnlich feine Instrumentalstücke, aber nach meinem Empfinden sind jene Faktoren die einen Song unvergesslich und einzigartig machen, primär im Text zu finden, vielleicht noch in der Art wie dieser vorgetragen wird, am wenigsten aber in der Melodie. Dass es auch beim Text ganz unterschiedliche Motive und Bedürfnisse gibt, die bedient werden wollen, liegt auf der Hand: Manchmal sehnen wir uns nach dem Kraftausdruck-beladenen Gegröle menschenverachtender Untergrundmusik (Zitat Funny van Dannen), ein anderes Mal wieder nach dem bodenlosen Weltschmerz melancholischer Hymnen und fast immer gibt es den passenden Song, der Sorgen vergessen macht, Hemmschwellen bricht oder einfach nur zu Tränen rührt.
Die nachfolgenden Lieder sind meiner Meinung nach ganz besonders mächtige Beispiele für die große Kunst, die es bedeutet derartige Emotionen im Menschen zu entfesseln.

#10 – Make It Rain (Original von Tom Waits auf Real Gone [2004]; keine Coverversionen)

Diese grandiose Hymne auf das Verliererdasein scheint wie geschaffen dafür all jene die den Schmerz der Ablehnung mit sich herumtragen zu erlösen, lebt aber auch stark von der kratzig geilen Stimme des Mister Waits.

#9 – Personal Jesus (Original von Depeche Mode auf Violator [1990]; Coverversionen: u. a. Johnny Cash, Marilyn Manson)

„Personal Jesus” ist eines der Stücke die ich lange Zeit unter „Vielleicht ganz netter Text, verdient aber keine besondere Aufmerksamkeit“ im Geiste notiert hatte. Das änderte sich, als ich 2004 die Interpretation von Johnny Cash hörte, dessen zu diesem Zeitpunkt schon schwer vom Leben gezeichnete Stimme dem Stück wesentlich mehr Substanz gab. Dadurch fand ich auch einen besseren Draht zur ursprünglichen Version und mag diese inzwischen auch recht gern. Die Cash-Fassung empfehle ich daher jedem, der bisher Zweifel an diesem Lied hatte, ohne jeden Vorbehalt. Das Manson-Pendant hingegen halte ich nicht für sehr gelungen.

#8 – Better Living Through Chemistry (Original von Queens of the Stone Age auf Rated R [2000]; keine Coverversionen)

Nach wie vor für mich der beste QOTSA-Song, wahrscheinlich weil er auch der mit Abstand düsterste ist. Es ist eine schwierige Thematik an die sich Herren da wagen und manchem mag die polemische Weise mit der sie das tun nicht behagen, ich finde es im Kontext des Liedes und auch des Albums aber sehr passend. Außerdem nutzen sie die mächtige Zeile „there’s no one here but people everywhere“ viel besser als Björk das einst tat.

#7 – War Pigs (Original von Black Sabbath auf Paranoid [1970]; Coverversionen: u. a. Faith no More, Dresden Dolls)

Anti-Kriegslieder gibt es verdammt viele, die wenigsten davon sind gut, noch einmal weniger sind wirklich gehaltvoll und nur ganz selten sind sie auch wichtig. „War Pigs“ vereint alle diese Elemente und ist deshalb für mich der bedeutendste Vertreter dieses Genres. Wo bei anderen Titeln realitätsferne Traumtänzerei steht, glänzt das Stück durch seine Brutalität und den ungebremsten Zorn, was wesentlich authentischer wirkt als jegliches „Liebe alle Menschen“ – Geträller.

#6 – Optimistic (Original von Radiohead auf Kid A [2000]; Keine Coverversionen)

Eine schöne Mischung aus zynischer Weltbetrachtung und dezentem Mutmacher. Für mich eindeutig der beste Radiohead-Song, auch wegen der trotzigen Schlusslinie: „dinosaurs will reign the earth“.

#5 – Head Like A Hole (Original von Nine Inch Nails auf Pretty Hate Machine [1989]; Coverversionen: u. a. Pig, Devo)

Ich muss vorausschicken, dass ich leider keine Coverversionen kenne, und es mir bis dato auch nicht möglich war mir diese eigen zu machen. Trotzdem ist „Head Like A Hole“ für mich einfach der überragende Track auf dem ersten NiN-Album. Eine herrlich wütende Hasstirade, die sich gegen die Regenten genauso stellt wie gegen die Schafe die ihnen blind folgen. Obwohl der Text manchem zu plakativ erscheinen mag, ist er blitzgescheit und vor allem von zeitloser Gültigkeit.

#4 – Downtown Train (Original von Tom Waits auf Rain Dogs [1985]; Coverversionen: u.a. Rod Stewart, Patty Smyth)

Ein Lied über nächtliches Zugfahren? Weit gefehlt und doch richtig. Die das einsame nach Hause fahren zu später Stunde ist etwas ganz eigenes. Man trifft oft obskure Gestalten, die Sonne lenkt einen nicht ab, so dass man sich ganz in seine Gedanken vertiefen kann. Äußerst bizarre und doch auch hochinteressante Momente der Einsamkeit, in denen sich die Verzweiflung ihren Weg bahnt. Diese Gefühle artikuliert „Downtown Train“ ganz eindrucksvoll.

#3 – Tainted Love (Original von Gloria Jones [1964]; Coverversionen: u.a. Coil, The Clash, Marilyn Manson)

Songs über Liebe, Verlangen und Sex gibt es nun wirklich zuhauf. Vor allem solche, die sich primär um die Darstellung der rein körperlichen Aspekte bemühen. Unter all diesen ragt „Tainted Love“ heraus, wegen seiner Ausdrucksstärke und seinem einzigartigen klanglichen Facettenreichtum. Das gilt auch für die meisten der unzähligen Neuinterpretationen, von denen ich vor allem die von Coil herausstellen möchte, da sie dem Song ein völlig anderes Gewand gibt, die ursprüngliche Dynamik aber erhalten bleibt.

#2 – The Fragile (Original von Nine Inch Nails auf The Fragile [1999]; keine Coverversionen)

Was soll ich groß zu diesem Lied sagen, außer dass ich kaum jemals vergleichbare Begeisterung für ein Stück Musik empfunden habe. Der Text ist grandios, scheint aus den Tiefen von Trent Reznors Seele hervor gedrungen zu sein und berührt auf eine unnachahmliche Weise. Dazu Reznors großartige Stimme die bei den ruhigen Stücken immer ganz besonders gut zur Geltung kommt – kein Titel zum oft Anhören, dafür eine feine Hymne für schwache Momente.

#1 – Hurt (Original von Nine Inch Nails auf The Downward Spiral [1994]; Coverversionen: u.a. Johnny Cash)

Wieder Nine Inch Nails, wieder ein sehr ruhiger Track. Wer nun glaubt eine gewisse Affinität meinerseits zu diesem Material auszumachen meint, kann sich schon mal ein Glas Sekt einschenken, denn er hat dies völlig richtig erkannt. Doch „Hurt“ und „The Fragile“ könnten unterschiedlicher nicht sein, liegen ihnen doch ganz andere Motive zugrunde. „Hurt“ ist die hässliche Fratze des Scheiterns, des Geständnisses, an einem Punkt wo alles scheissegal ist, deswegen aber umso mehr schmerzt. Der Text ist universell, steht für Liebe, Schmerz, Reue, kurz für das Leben in seiner gesamten grausigen Fülle und vermag durch sein Pathos des Schmerzes Wunden zu heilen. Ein Freund von mir meinte einmal Lieder wie „Hurt“ seien der Gebetsersatz für die Menschen heute, die sich einerseits von den Religionen abgewandt haben, andererseits die selben spirituellen Bedürfnisse in sich tragen, wie die Generationen vor ihnen. Das Erlebnis beim Nine Inch Nails Konzert im Juni 2005, als alle Anwesenden ihre Stimmen erhoben um den Text von „Hurt“ zu schluchzen, hat mir gezeigt wie Recht er eigentlich hatte.
Auch die Interpretation von Johnny Cash auf dessen „American Recordings IV“ ist großartig und für mich das beste Cover, das jemals aufgenommen wurde. Cash, der zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass sein Leben sich dem Ende zu neigt, intonierte den Song mit seiner greisen, aber immer noch starken Stimme, auf so eine so berührende Weise, dass er sich für immer in mein Hirn einbrannte. „Hurt“ wurde zu seinem Testament, seinem Vermächtnis an die ganze Welt und meiner Meinung nach hätte er dafür kein besseres Stück erwählen können.

Es ist mir irrsinnig schwer gefallen diese Liste zu verfassen, doch rückblickend bin ich doch ganz zufrieden mit dem, was dabei herausgekommen ist. Klar gibt es eine solche Vielzahl von guten Liedern, und die wenigsten davon kenne ich wahrscheinlich überhaupt, aber wenn ich jetzt auf die Liste blicke und die Titel lese, so kann ich einem jedem seine eigene kleine Geschichte zuordnen, die ihm letztlich diese Platzierung einbrachte. Nachträglich verändern möchte ich diese Liste im Nachhinein aber nicht mehr, vielleicht werde ich zu gegebenem Zeitpunkt eine zweite Liste erstellen.
Zum praktischen Teil: Über sämtliche Covers die es von einem Song gibt informiert man sich am besten beim Covers Project. Die Lyrics wollte ich erst zum jeweiligen Song verlinken, weil mir das aber rechtlich etwas zu unklar ist und ich vor allem zu faul bin möchte ich dazu auf Google verweisen.

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