Völlerei – Eine parabolische Kurzgeschichte

Eine ausgemergelte, dürre Gestalt die noch kaum etwas Menschengleiches an sich hat, steht inmitten eines hell ausgeleuchteten Raumes. Das Licht blendet die Gestalt, die Pupillen sind kaum mehr zu sehen, so grell strahlt das Licht, trotzdem ist nicht zu erkennen woher es kommt. Ihr Gesicht ist fahl, die Wangenknochen zeichnen sich scharf durch das wenige Fleisch ab, als hätte man eine hautfarbene Decke über ein Skelett geworfen. Von Hautfarbe zu sprechen kommt schierem Hohn gleich, denn an der Haut dieses Wesens ist wenn überhaupt nur der Anschein eines gräulichen Anstriches zu entdecken. Erstaunlich ist, dass diese hagere Kreatur, von der man geneigt ist anzunehmen man könne einfach durch sie hindurch sehen, so blass und dünn zeichnet sich ihre Figur in den Raum, überhaupt aufrecht stehen kann, an den Stielen die einst Beine gewesen sein mögen, ist keinerlei Fleisch zu finden. Was also trägt den Torso, was hält den Kopf?
Drei Menschen betreten den Raum. Sie sind gänzlich gehüllt in Tücher aus weißem Leinen, nicht einmal ihre Augen sind zu sehen. Sie schweben regelrecht in den Raum, obwohl jeder von ihnen ein mannsgroßes Tablett in Händen hält auf dem sich erlesene Köstlichkeiten zur Decke stapeln. Früchte, denen ein gewöhnlicher Mensch noch nicht einmal in den bizarrsten Träumen hätte gedenken können, zart zubereitetes Fleisch scheuer Tiere, die alleine zu Gesicht zu bekommen, oft ein ganzes Menschenleben in Anspruch nehmen kann, eine Vielfalt an Speisen die das menschliche Vorstellungsvermögen mit höhnender Leichtigkeit überflügelt.
Wo in den Augen der Kreatur zuvor Gleichgültigkeit stand, eine Bereitschaft sich in das eigene Schicksal zu fügen, entfacht nun ein neues Feuer. Blut schießt zurück in die Adern, gleichsam kehrt die Farbe zurück ins Gesicht und Leben in den Blick und mit dem Leben auch der Wahnsinn. Das Wesen zittert am ganzen Körper, gleich einer Welle durchfährt Spannung den erregten Leib, jeder einzelne Muskel zieht sich zur Unkenntlichkeit zusammen um Sekundenbruchteile später wieder auseinander zu fahren. Als würde sie der Leibhaftige an der Wirbelsäule packen und mit einem gewaltigen Ruck herumreißen, stürzt es sich auf die drei Diener. Diese stellen die Tabletts ruhig ab, wenden dem Gepeinigten den Rücken zu und verlassen den Raum.
Gierig schaufelt das Wesen, dessen männliches Geschlecht mittlerweile besser zu erkennen ist, Trauben in sein Maul, kaum sind diese den Rachen hinunter geglitten, fasst er nach einem Spanferkel, das ganz unten in einem der Futterberge steckt und zieht es gierig an sich, ohne dabei zu merken, dass der Turm dadurch aus der Balance gerät und über ihm zusammen stürzt. So sitzt das hagere Männlein inmitten eines Haufens von Köstlichkeiten und frisst blind in sich hinein. Seine Augen sind kaum geöffnet sein Mund ist dafür zu einer solchen Größe erwachsen, dass er den restlichen Körper zu überragen scheint. Auch das Gebaren beim Fraß spiegelt seinen Rausch wider: Während er zuvor noch die Speisen in den Mund steckte, schiebt er sie nun scheinbar direkt den Rachen hinunter. Das Spanferkel in Händen kauert er am Boden, reißt mit seinen Pranken Stücke aus dem Fleisch, fasst sich mit seiner Hand durch den Mund, tief in den Hals hinunter. Hastig schiebt er Stück für Stück nach, gönnt sich nicht eine Sekunde um zum Atmen innezuhalten.
So wie die turmhohen Stapel konsequent in sich zusammensackten, wurde die ehemals kaum sichtbare Gestalt immer fetter. Aus dem Loch unterhalb seiner Brust quoll eine fette Wampe hervor die mit jedem Bissen weiter aus sich heraus kroch. Sogar die Fettpolster auf der Stirn wuchsen immer weiter, bis sie die Augen schließlich zur Gänze verdeckten, er schien dies aber nicht zu bemerken, das Sehen war ihm wohl schon lange der unwichtigste Sinn geworden, es zählte nur noch das Greifen nach Nahrung und das Nachstopfen in den Rachen. So wie er einerseits Nahrung in den Mund schob schiss er gleichzeitig aus dem Arschloch, wodurch, als sich das Nahrungsaufgebot dem Ende zuneigte, er bereits mit einem beträchtlichen Teil seines Körpers in der eigenen Scheisse versunken war. Als es schließlich so weit war und alles aufgefressen war, bot sich ein grotesker Anblick: Ein unglaublich fetter Fleischhaufen, der mindestens soweit vom Abbild eines Menschen entfernt war, wie die Gestalt aus der er hervorgegangen war, lag regungslos da, der Körper eingebettet in ein Meer aus Scheisse, aus dem nur die Hände und Schultern, der Kopf, sowie der enorme Bauch, der den Großteil des Raumes in Beschlag nahm, herausragten.
Da er alles aufgefressen hatte, wurde er in seinem Wahn unterbrochen und hielt für einen Moment inne. Er reckte seinen Kopf zur Decke hin und stellte offenbar erstmals fest, dass er nichts mehr sehen konnte. Abscheuliche Laute der Verzweiflung drangen aus ihm hervor, er schlug um sich, was die Scheisse im Raum herum spritzen ließ. So etwas wie Ekel schien ihn nun zu ergreifen, denn er schlug immer wilder um sich, versuchte vergebens aufzustehen oder seinen Körper zumindest herum zu drehen, doch sein eigenes Gewicht lähmte ihn. Plötzlich hielt er erneut inne und senkte sein Haupt und legte seine Arme auf den Bauch.
Er spreizte seine Pranken aus und bohrte sie immer fester in sein Bauchfleisch, bis es schließlich nachgab und seine Finger sich ihren Weg durch die Haut ins Innere bahnten. Ein Lächeln spielte sich auf seine Lippen als er seine Krallen tiefer ins eigene Fleisch stieß und langsam auseinander zog, wodurch sich seine Bauchwand öffnete und seine Innereien heraustraten. Erneut verfiel er in den Fresswahn, packte Brocken seines fetten Fleisches und stopfte sie ohne Umschweife in den Mund. Immer tiefer drang er in sich ein, seine Organe quollen hervor. Gierig packte er seinen Darm und streckte ihn noch ein wenig in die Länge bevor er ihn in seinen Rachen schob. Der Geschmack seines eigenen Fleisches versetzte ihn in Ekstase, Blut schoss in seinen Schwanz, was ihn seinen Weg durch das Fett in die Freiheit finden ließ. Pulsierend kroch er aus dem Berg aus Lendenfleisch hervor. Dem Wahn tat das keinen Abbruch, es trieb ihm nur noch mehr Schweiß auf die Stirn. Konsequent grub er sich in seinem eigenen Körper nach oben, verschlang seinen Magen, die Lungenflügel, riss sich Rippen aus dem Bauch steckte sie genüsslich in den Mund.
Schließlich entriss er das eigene Herz der Brust und leckte sich gierig die Lippen. Sein Herz pochte heftig, als er es in der Hand hielt und zur Decke hin emporhob. Sein Glied pulsierte immer stärker und wuchs und wuchs ins Unermessliche. Heißer Samen schießt zur Decke empor, als das Herz den Rachen hinunter gleitet und der tote Fleischberg in sich zusammensackt.

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