The Wrestler, WWE und die Körperlichkeit des Todes

October 29th, 2009 by Stephan | Filed under Blogeintraege

Ich habe The Wrestler schon vor ein paar Monaten im Rahmen der Viennale gesehen, und bin darüber eigentlich recht froh, weil ich mir so schon ein Bild vom Film machen konnte bevor jetzt der ganze Hype endgültig losbricht. Es gab natürlich auch damals schon einen gewissen Hype: meistens hörte man nur vom „neuen Aronofsky-Film“ oder von der angeblich sagenhaften Performance Mickey Rourkes. Soviel vorweg: Mickey Rourke ist auch wirklich großartig. So großartig, dass ich Zweifel daran habe, dass es eine Rolle ist, die er verkörpert. Näheres dazu später. (Dieser Absatz entstand noch vor der diesjährigen Wrestlemania, der Hype hierzulande war sowohl um Wrestlemania XXV, als auch um The Wrestler doch nur wenig bis gar nicht vorhanden. Ein paar Erwähnungen gab es zwar, der von mir insgeheim erhoffte Ausbruch einer neuen, öffentlichen Debatte ums Wrestling blieb allerdings aus.)

Ich kenne Darren Aronofsky nicht, persönlich sowieso nicht und auch seine Filme habe ich bislang nicht gesehen. Zwar war auch das eher zufällig, trotzdem aber glücklich für mich, weil ich mich so nicht anstrengen muss, den Film nicht nur als einen weiteren Punkt im Gesamtwerk des Regisseurs zu begreifen. Natürlich war aber auch ich nicht gänzlich unvoreingenommen – es war etwa voriges Jahr im März, kurz vor Wrestlemania XXIV, da ich meine Sandkastenliebe, die WWF (nunmehrige WWE), wieder entdeckte und mein Interesse fürs professionelle Wrestling aufs Neue entflammte. Die Frage nachdem Warum stelle ich mir seither immer wieder, auch weil sie mir nicht selten von außen entgegenweht, meist in der Form eines „Aber das ist doch alles gestellt. Weißt du das?“

Natürlich weiß ich das, nur spielt es keine Rolle mehr. In der Anfangszeit, ich war wohl so sieben Jahre alt, da war ich der Überzeugung der Undertaker hätte übersinnliche Kräfte, Kane sei sein verloren geglaubter Bruder und Yokozuna ein echter Sumoringer. Irgendwann stellte sich dann aber das Bewusstsein ein, dass auch im Wrestling nur Geschichten erzählt werden und die Protagonisten nur Normalsterbliche sind, und nicht selten auch Familienväter. Dass die Illusion für mich aber doch lange funktionierte, lag an meinem damaligen Zugang zur WWF, der in Ermangelung eines Kabelanschlusses, ausschließlich über Merchandise Artikel wie Sammelkarten oder Actionfiguren erfolgte. Die Beschreibungen auf den Verpackungskartons waren für mich die wichtigste Informationsquelle, die auf den Sammelkarten präsentierten Fakten nicht weniger als Tatsachen. So entstand das Bild, das ich vom Wrestling hatte, in erster Linie in meinem Kopf und gefiel mir wohl nicht zuletzt deswegen ausgesprochen gut. An den Tag, an dem ich dann realisierte, dass diese Welt gar nicht so echt ist, kann ich mich genauso wenig erinnern wie an den Tag, an dem ich das Interesse für die WWF verlor – wie so viele einst lieb gewonnene Faszinationen, wich es im Zuge meines individuellen Alterungsprozesses irgendwann zugunsten anderer, neuer Steckenpferde.

Im Jahr 2008 heißt die Liga nicht länger WWF sondern WWE, und hat sich auch sonst einigermaßen geändert. Die Charaktere sind heute realistischer: Obwohl die alten Helden wie Undertaker oder Kane noch unter Vertrag stehen, sind sie inzwischen recht gewöhnliche Fleischberge von Männern geworden. Die Schatten ihrer übernatürlichen Vergangenheit, der verstörenden Kindheit und ihrer grandiosen Bruderfehde sind längst verschwunden. Die meisten Wrestlingikonen der Neunziger haben ihre Karriere beendet und sich mehr oder weniger (meistens eher weniger) ruhmvoll zur Ruhe gesetzt, nicht wenige sind verstorben. Und dennoch beeindruckt mich das gebotene Schauspiel, das inszenierte Aufeinanderprallen fleischig, männlicher Leiber, immer noch und ich frage mich, im Gegensatz zum vorigen Jahrzehnt, auch nach dem Grund hiefür. Die Illusion allein kann es nicht gewesen sein, ich hoffe auch, dass es sich nicht nur um unreflektierte Nostalgie handelt – bleibt noch ein anderer Zweck, den das Wrestling erfüllt, wie andere menschliche Erzeugnisse, die einzig der Unterhaltung dienen, auch.

Unterhaltungsmedien sind immer auch eine Möglichkeit zur Flucht. Zu einer Flucht aus der Tristesse des Alltags hinein in eine Gegenwelt, eine andere Realität, eine andere Rolle im Dickicht menschlicher Interaktion. Die Gegenwelt des Pro-Wrestling folgt anderen Gesetzen als die wirkliche Welt. Sämtliche Stereotypen funktionieren ausnahmslos, sind fest in das Netz fingierter Tatsächlichkeit eingewoben. Es gibt dort noch echte Wilde, zügellose savages, denen ein amerikanischer Hüne nur unter Aufbietung all seiner Kräfte Einhalt gebieten kann, genauso wie sonnengebräunte Surfer-Machos, die überall sonst seit Ewigkeiten niemand mehr ernst nimmt. Es ist eine Welt in der man immer weiß was man zu erwarten hat, Überraschungen vollziehen sich innerhalb eines eng ausgesteckten Rahmens, was zur Konsequenz hat, dass die seltenen Fälle, da an diese Grenzen gerührt oder sie gar überschritten werden, in einem Debakel für die Welt des Wrestling endet. Man erinnere sich nur an den Tod Owen Harts, der es schmerzvoll deutlich machte wie, verstörend es sein kann, wenn die Grenzen zwischen Welt und Gegenwelt aufbrechen. Nicht zuletzt Vince McMahon scheiterte an diesem Szenario – er verhielt sich wie ein On-Screen Charakter, als von ihm erwartet wurde wie ein Mensch zu handeln, wohl auch weil er sein Business schützen wollte. Dass es Momente gibt, in denen es selbst dem System WWE unmöglich ist den Schein zu wahren, wurde am 23. Mai 1999 so offensichtlich wie nie zuvor.

Auch „The Wrestler“ legt diese Problematik sehr bewusst und erfreulich unaufdringlich offen, am eindrucksvollsten in dem kurzen Moment da The Ram noch einmal zum Vorhang blickt, um zu sehen ob in der echten Welt noch Platz für ihn ist. Aber Pam ist weg und mit ihr verschwindet das Tor in die Wirklichkeit. Randy springt in die Ungewissheit, der Film endet und Bruce Springsteens Song The Wrestler setzt ein. Der Wrestler scheitert am Leben und geht in der einzigen Substanz auf, die ihm vertraut ist, der Show. Dabei ist es egal ob er stirbt oder nicht, sein Sein ist in diesem Moment schon längst unabhängig von der ewig alten Zwiegestalt aus Leben und Tod.

Diese Belanglosigkeit der materiellen Existenz wird auch in Springsteens Outro manifest, als es heißt „I always leave with less than I had before“, was just dieses Phänomen des Übergehens in die Nicht-Existenz beschreibt. Die offensichtliche Frage, ob am Ende der Gleichung Nichts oder eine Art Anti-Sein steht, verfehlt hier auch ihr Ziel, da derartige Kategorien nicht mehr greifen, wenn man das grundlegende Prinzip des Immer-mehr-sein-wollens verabschiedet.

Wrestler sind mehr als nur Verrückte, die ihre Körper für Geld und Ruhm zugrunde richten – wer nur die Wahrung und Expansion der eigenen materiellen Existenz vor Augen hat, ist anderswo besser aufgehoben. In der Dokumentation „WWE Unauthorized“ sagt Vince Russo (jetzt Writer bei TNA Wrestling) nicht umsonst, dass die meisten Wrestler im Grunde große Kinder sind, denen die Show, das Spiel mit Gleichgesinnten, mehr bedeutet, als es sich je monetär vergüten ließe – anders könnte das Biz wohl nicht bestehen.

Damit komme ich auf die eingangs geäußerten Zweifel darüber zu sprechen, ob es wirklich eine Rolle ist, die Mickey Rourke verkörpert. Die Antwort ist nicht eindeutig zu geben, aber betrachtet man Rourkes Karriere, so sind Parallelen zum Ram durchaus gegeben. Ich glaube auch Rourke ist letztlich nur ein solcher Bub im Körper eines Mannes, für den ganz einfach andere Kategorien zählen, als für das Gros der Menschheit. Und ehrlich gesagt, macht ihn diese Vorstellung auch nur sympathischer.

Ein paar Links:

WWE Unauthorized

Bruce Springsteen – The Wrestler

Owen Hart

Mickey Rourke

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