Wer war eigentlich Robert Enke? Ein paar Überlegungen zu Depression und Freitod.

November 14th, 2009 by Stephan | Filed under Blogeintraege

Besonders interessiert hat mich Robert Enke nie, seine Karriere habe ich nur oberflächlich mitbekommen und da mir auch Hannover 96 eher egal ist, beschränkte sich meine Wahrnehmung auf seine Auftritte im Nationalteam. Nun hat er sich am Dienstag umgebracht und wie damit medial umgegangen wird ist mir nicht egal, sondern beschäftigt mich sogar sehr.

Bereits meine beiden bevorzugten Fußball-Medien, Sport1.de und 11Freunde.de, reagieren völlig unterschiedlich darauf. Während Sport1 alles darstellt, jedes noch so spekulative Detail, das an die Öffentlichkeit gelangt ausschlachtet, Bilder der Andacht und Videos von der Pressekonferenz zeigt, steht auf 11Freunde nur eine kurze Meldung, mitsamt einer Erklärung, dass man nicht in den Voyeurismus der anderen Medien mit einstimmen möchte und das Unsagbare und unausgesprochen lassen möchte.

Ich habe keine Ahnung auf wessen Seite ich mich stellen soll oder will, kann beide Ansätze irgendwie verstehen, und fühle mich von beiden irgendwie angewidert.

Als ich mir das Video zur Pressekonferenz anschaue, in dem Teresa Enke mit zitternder Stimme zu erklären versucht, was sich in ihrem Mann abspielte, und dabei im Hintergrund gnadenlos die Auslöser, hunderter Kameras tönen und die Blitzlichter flackern, möchte ich eigentlich nur noch kotzen. Ebenso, wenn Sport1 im Titelvorspann auf der Seite schreibt „und bei der Andacht kommt es zu einer bewegenden Szene.“, als ginge es auch in diesem Fall nur darum zu teasen, als stünde die journalistische Praxis, den Leser durch solche Kniffe zu hooken, über den Tatsachen. Und doch, ist es nun mal ihr Beruf und wenn der Journalismus schon sonst nicht aufzuhalten ist im Angesicht des Todes, warum sollte er es in diesem Fall sein. Und ich selbst schaue mir die Bilder ja an, giere nach mehr Information, wie sonst auch, zerdrücke diesmal eine Träne im Augenwinkel wenn ich Oliver Bierhoff weinen sehe, weil es mich irgendwie doch rührt, offenbar mehr als die sonst mehrmals täglich aufkommende Nachricht vom Tod eines Menschen, irgendwo, irgendwie. Erschreckend einerseits, andererseits logisch, schließlich ist der medial übermittelte Tod Fremder alltäglich – der nachvollziehbare Tod allerdings.

Robert Enkes Freitod ist nicht nachvollziehbar, zumindest nicht anhand äußerer Kriterien. Ein körperlich (nach außen hin) gesunder, junger Mensch, ein Athlet, kurz vorm Höhepunkt seiner Karriere, der WM-Teilnahme mit seinem Nationalteam, glücklich verheiratet und Adoptivvater einer kleinen Tochter. Es gab keinen augenscheinlichen Grund, trotzdem entschied er sich zu gehen. Wirklich nachvollziehen kann den Schritt niemand, aller Erklärungsversuche zum Trotz. 11Freunde geht soweit und meint es geht niemanden etwas an. Trotzdem, es ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen, die Geschehnisse in seiner Umgebung zu reflektieren, und als Mensch öffentlichen Interesses war Enke nun mal auch teil der Umgebung vieler Menschen. Auch wenn es möglicherweise wirklich niemanden etwas angeht, sollte man das Bedürfnis zu verstehen per se nicht ablehnen. Ein paar Feststellungen möchte ich in diesem Bemühen machen:

1. So entwickelt unsere Gesellschaft auch sein mag, so weit der technische Fortschritt noch dringen mag, im Angesicht des Suizids sind wir ratlos. Wir können ihn nicht verstehen, weder als Gesellschaft, noch als Individuum. (Im 11Freunde Artikel wird Camus zitiert, der im Selbstmord das einzige ernste philosophische Problem sah.)

All jene ehemaligen Mitspieler, Trainer und Freunde Enkes, die sich in den Stunden nach dem Suizid zu Wort meldeten, im wesentlichen inhaltsgleiche Telefoninterviews gaben, sind der Beweis dafür: Sie alle sagen, sie hätten nichts geahnt, sind schockiert, fassungslos, meinen er habe immer so stark gewirkt. Niemand konnte in Enke hinein sehen, aber wozu diese Aussagen, wieso kann nicht wenigstens angesichts eines so traurigen Ereignisses Abstand genommen werden von der ewigen Redundanz und Belanglosigkeit solcher Kommentare, noch dazu von Menschen die seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten und sich nun anmaßen Enkes Zustand zu kommentieren?

Besonders hervortun konnte sich Christoph Daum: Trifft er zuerst noch die richtige Feststellung und sagt “Depressionen sind keine Kopfschmerzen. Das ist eine schwere Krankheit.”, so entwertet er diese Beobachtung schon mit dem nächsten Satz, als er sagt: “Er hat mir etwas gesagt, das ich nie verraten werde. Darüber haben wir Stillschweigen vereinbart.“ Damit offenbart er nicht nur, dass er absolut nicht versteht worum es geht, sondern profiliert sich selbst durch sein exklusives Nahverhältnis zu einem Unnahbaren. Selbst wenn es keine Absicht gewesen sein mag, so fühle ich doch nur nackten Ekel in Anbetracht der Umstände.

2. Wer will, kann sich so verstellen, dass nicht einmal die Menschen im engsten Umfeld auch nur einen Schimmer davon haben, was wirklich in einem vorgeht. Und das selbst in dieser unserer vernetzten Welt, da wir gläserner als jemals zuvor sind. Wir leben in einer Gesellschaft in der Fassaden aufeinander treffen, das war niemals anders und wird niemals anders sein, im Gegenteil, wir arbeiten sogar daran, dass es immer wichtiger wird die Fassade bis in den Tod zu wahren.

3. Die Depression als Krankheit, die ein Leben lang immer wieder zurückkehren kann, behandelbar aber nicht heilbar ist, ist noch weit davon entfernt gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Kaum jemand, der an einer Depression leidet, traut sich dies öffentlich zu machen, zu sehr drückt die Angst vor Unverständnis und Zurückweisung. Krank sein alleine ist schon verpönt genug, wenn es dann auch noch eine Krankheit ist, die schon ihrem Wesen her nicht hergezeigt werden kann, neigt man noch mehr dazu, sie unter den Tisch zu kehren so gut es geht. Wir leben in einer Zeit, in der man auf die Frage „Wie geht’s?“ nur noch „Danke, gut.“ antworten darf, wenn man akzeptiert werden will.

4. Der Suizid, oder besser Freitod, muss in der gesellschaftlichen Wahrnehmung neu positioniert werden. Das wird nicht schnell gehen, sondern Generationen dauern, aber je früher wir beginnen daran zu arbeiten, desto besser. Wenn man im positiven Sinne darüber spricht, geht es höchstens um Suizidprävention, ein Freitod soll um jeden Preis verhindert werden und ist immer etwas Tragisches, niemand scheint daran zu denken, dass jemand sein Leben auch wirklich Kraft seines eigenen Willens beenden kann, dies zu akzeptieren ist ohnehin undenkbar. Wir müssen uns den Suizid als das Ende einer downward spiral denken, Selbstmordgedanken sind ein Symptom der depressiven Erkrankung. Ein Symptom. Gesunde Menschen können nicht sterben wollen. Und sie dürfen es auch nicht.

Aber es gibt Situationen, in denen ein Suizid Sinn machen kann. Wenn das Nachdenken über den Suizid das Symptom ist, dann ist der Suizid selbst die ultimative Symptombekämpfung. Und genau diesen Gedanken gilt es aus dem Schatten des Tabus zu befreien.

Wir können den Suizid feig schimpfen, weil er eine Flucht bedeutet. Wir können ihn egoistisch nennen, weil der Suizident den Menschen in seinem Umfeld Schmerzen zufügt, sie möglicherweise gar in tiefe emotionale Abgründe stößt. Das alles nutzt denen, die Selbstmordgedanken mit sich tragen allerdings nichts. Es hilft ihnen auch nicht. Was für eine Perspektive soll das denn sein? Nicht einmal der eigene Tod bringt ein Ende des Leidens, sondern führt nur zu mehr Leid, insbesondere für die Menschen, die man liebt.

Suizid begeht der Depressive erst dann, wenn der Leidensdruck zu groß ist. Es ist die letzte aller Möglichkeiten, eine Verzweiflungstat, die in vollem Bewusstsein darüber geschieht, was man den Hinterbliebenen damit antut. Gerade weil in der Depression alles in Frage gestellt wird, jede Eventualität des Zwischenmenschlichen durchgespielt wird, muss man annehmen, dass der Suizident bis zum Moment des tatsächlichen Ablebens von Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen zerfressen wird. Umso verzweifelter muss er sein um das Unterfangen wirklich durchzuziehen.

Ja, das wichtigste im Umgang mit depressiven Menschen ist es ihnen Perspektiven zu geben, das lohnenswerte am Leben hervorzukehren, gleichzeitig aber sollte immer ein gewisser Respekt, wenn schon kein Verständnis, dafür da sein, wenn jemand einfach nicht mehr will. Und wenn es nur dazu taugt, ihnen im Tod das Gefühl zu geben, verstanden worden zu sein.

Teresa Enke hat sich wahrscheinlich für das Gegenteil von dem entschieden, was ihr Mann wollte. Sie stellte sich bereits wenige Stunden nach dem Tod den Medien, im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem behandelnden Arzt.

Martin Blumenau hält das für das einzig Richtige, weil nur so die öffentliche Wahrnehmung der Depression geändert werden kann. Ich bin mir da nicht so sicher. Klar, es wird jetzt diskutiert, und vielleicht bringt es auch wirklich was. Gleichzeitig aber widerspricht es dem, was man in der Depression so dringend sucht: das Verstecken, in der Hoffnung doch irgendwie als normal durchzugehen, unentdeckt zu bleiben, weil es das ist, was man idealisiert und sich mehr wünscht als alles andere: Normalität, einen Alltag, eine Perspektive. Das öffentliche Ausschlachten, Breittreten und Diskutieren ist für den Depressiven eine absolute Horrorvision, will man doch nichts weniger als irgendwie öffentlich rezipiert werden.

Man tut den Depressiven keinen Gefallen wenn man die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Krankheit lenkt, weil sie ja nicht entdeckt werden wollen, das Sich-entdecken-lassen am Ende eines langwierigen Prozesses steht und große Überwindung bedeutet. Wichtiger ist es sich Gedanken darüber zu machen, wie unsere Gesellschaft mit Schwäche umgeht, wie schwer es uns fällt uns Düsfunktionalität zu- und einzugestehen, und letztlich auch darüber, wieso es so undenkbar scheint, dass jemand einfach nicht mehr will.

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